Geschichte des Renault 16

Die Entwicklung des Renault 16

Die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges brachte für Renault einige tiefgreifende Veränderungen mit sich. Bereits am 16. Januar 1945, also noch vor Kriegsende, entschied die französische Regierung, die Renault S. A. (Societé Anonyme — Aktiengesellschaft) zu verstaatlichen. Dies war die Geburtsstunde der Régie Nationale des Usines Renault (RNUR). Dessen Direktor Pierre Lefaucheux ließ zunächst das gesamte PKW-Programm straffen und überarbeiten. Verkaufsschlager der Régie war seit den späten Vierzigern der kleine 4 CV, das legendäre Crèmeschnittchen. Lefaucheux setzte jedoch auch auf die Entwicklung eines neuen Spitzenmodells, das als Konkurrent des erfolgreichen Peugeot 403 etabliert werden sollte.

Pierre Dreyfus

Pierre Dreyfus

Am 30. November 1950, nach nur zwei Jahren Entwicklungszeit, wurde die neue Frégate der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieses zweifellos moderne, aber glücklose Automobil hatte jedoch von Anfang an einen ziemlich schweren Stand gegenüber seinen Konkurrenten, und im April 1960 entschloss sich die Régie aufgrund der absackenden Verkaufszahlen, den Bau der Frégate einzustellen.
Noch vor dem Produktionsende der Frégate ereilte die Régie ein herber Schlag: Pierre Lefaucheux kam am 11. Februar 1955 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Sein Nachfolger wurde Pierre Dreyfus, der sowohl bei der Belegschaft als auch bei der Unternehmensführung und in der Öffentlichkeit hohes Ansehen genoss.
Dreyfus stellte Ende der Fünfziger die Weichen für die nächsten zwanzig Jahre: Die erfolgreichen Modelle Renault 4, 5, 8, 12 und 16, die globale Ausweitung der Produktion, die Entwicklung eines völlig neuen Raumkonzepts für Familienfahrzeuge und die Einführung des Frontantriebs waren die großen Verdienste dieses ebenso pragmatischen wie visionären Mannes.

Die Renault-Ingenieure machten sich sogleich an die Entwicklung eines neuen Spitzenmodells. Erstes Resultat dieser Arbeiten stellte der Prototyp „Projekt 114“ dar. Dieses heute gänzlich in Vergessenheit geratene Fahrzeug war eine klassische Stufenhecklimousine mit einem Sechszylindermotor, 2,2 Litern Hubraum und Heckantrieb. Dieses Konzept überzeugte Dreyfus jedoch nicht, und als auch noch die Kosten aus dem Ruder zu laufen drohten, verschwand das „Projekt 114“ Anfang 1961 schnell in der Versenkung.

Die Mitglieder des Entwicklungsbüros standen also im Sommer 1961 wieder vor einem weißen Blatt Papier. Pierre Dreyfus rief zu dieser Zeit erneut seine Mitarbeiter zusammen und unterbreitete ihnen seine Direktiven zur Entwicklung eines neuen Spitzenmodells. Diese Direktiven fußten auf den Ergebnissen einer groß angelegten soziologischen Studie. Dreyfus hatte sofort erkannt, dass die Zeit reif schien für eine revolutionäres Modell, das die Eleganz einer Limousine mit dem Raumangebot und der Variabilität eines Kombis vereinen sollte.

Gaston Juchet, ein junger Designer der Régie, zeichnete die ersten wegweisenden Entwürfe des „Projekts 115“. Diese bildeten dann auch die Basis dessen, was vier Jahre später als Renault 16 dem staunenden Publikum vorgestellt werden sollte.

Primäre Entwicklungsziele des Lastenheftes stellten eine bis dahin nicht gekannte Variabilität des Innenraumes, ein exzellentes Raumgefühl, hohe Türausschnitte sowie ein komfortables Fahrwerk und sichere Fahreigenschaften dar. Vom Projekt 114 wurde nur der Aluminiummotor übernommen, der aber für das neue Projekt um zwei Zylinder gekürzt werden musste. Die gesamte Entwicklung wurde unter großem Zeitdruck vorangetrieben: Von den ersten Zeichnungen im Sommer 1961 vergingen nur knapp vier Jahre, bis der erste Renault 16 die Bänder verließ. Auch das ausschließlich für die Produktion des neuen Modells vorgesehene Werk Sandouville in der Nähe von Le Havre wurde in unglaublich erscheinenden 18 Monaten hochgezogen!
Die Prototypen des neuen Renault absolvierten Zehntausende von Testkilometern, nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in den USA.

Der seriennahe Prototyp „Renault 1500“.

1965-1970: Die Präsentation auf dem Genfer Salon und die frühen Jahre

Am 4. Januar 1965 wurde der neue Renault erstmals der versammelten Fachpresse vorgestellt. Die Motorjournalisten zeigten sich beeindruckt von der genialen Variabilität, dem sehr komfortablen Fahrwerk und den problemlosen Fahreigenschaften des jüngsten Sprosses der Régie. Es wurde aber auch Kritik laut: Die Bremsen und das anfangs recht karge Armaturenbrett gefielen den kritischen Testern nicht. Diese Mängel wurden jedoch kurze Zeit später behoben.
Das gespannte Publikum auf dem Genfer Salon im März 1965 zeigte sich nicht ganz so enthusiastisch. Zwar zollte man auch hier dem revolutionären Raumkonzept viel Beifall, die ungewöhnliche

Der Renault 16 auf dem Pariser Salon 1965.

Der Renault 16 Modell 1965.

Optik sorgte aber zunächst für Skepsis — insbesondere bei den Frauen. Schließlich sollten die praktischen Vorteile des Neuen jedoch überzeugen, und der Renault 16 entwickelte sich vom Verkaufsstart im Juni 1965 an zu einem großen Erfolg für die Régie. Der Renault 16 stand zunächst in den Versionen Luxe und Super (bzw. später GL und GLS) zum Verkauf, jeweils mit einem 1470 ccm Alumotor und 40kW/55PS. Die einfacher ausgestattete GL-Version wies jedoch aufgrund der starren Vordersitzbank eine etwas eingeschränkte Variabilität auf und wurde sehr selten geordert.
Der Mut seiner Entwickler schien belohnt zu werden, denn der neue Renault erweckte vor allem bei den praktisch veranlagten Autofahrern großes Interesse. Anfang 1966 schließlich erhielt der Renault 16 die begehrte Auszeichnung „Auto des Jahres“.

1967 wurden die ersten größeren optischen Modifikationen durchgeführt, besonders das Interieur wurde deutlich aufgewertet. Die fortschrittliche Familienlimousine verkaufte sich nun auch außerhalb Frankreichs sehr gut, vor allem in Deutschland, Großbritannien, den Beneluxländern und Spanien, aber auch in den USA und in Kanada fanden sich zahlreiche Käufer.

Der Renault 16 TS erhielt ein anderes Armaturenbrett mit vier großen Rundinstrumenten. Von der Basisversion unterschied er sich durch viele Ausstattungsdetails, u. a. zweistufige Scheibenwischer, eine Kühlwasser-Temperaturanzeige, eine stärkere Hupe und Zusatzscheinwerfer.

Auf dem Genfer Salon 1969 sorgte der Renault 16 wiederum für Aufsehen: Der TA stellte das erste französische Automobil mit einem in Frankreich entwickelten vollautomatischen Getriebe dar. Die Fachpresse war voll des Lobes: „Das Renault-Getriebe ist momentan das Beste, was es auf dem Markt zu kaufen gibt.“ Äußerlich war der TA nur am Emblem auf der Heckklappe zu erkennen. Im Interieur erhielt er das Armaturenbrett der Normalversion, jedoch die Sitze des TS.

Der neue Renault 16 TS.

Die „zweite Halbzeit“ 1971-1980: Die große Renovierung und Erweiterung des Modellprogramms

Die Heckansicht des Renault 16 Modell 1971.

Das Modellprogramm erfuhr 1970 einige wesentliche Änderungen:  Der Jahrgang 1971 wurde im Heckbereich zum ersten Mal optisch tiefgreifend modifiziert. Die mandelförmigen Rückleuchten und die prominente Chromleiste wurden durch rechteckige Leuchten und eine schwarze Zierleiste ersetzt.  Das Programm umfasste nun die Versionen L, TL (beide mit einem 1,6 Liter-Motor und 67 PS) und TS. Der TA entfiel als eigenes Modell, man konnte jedoch das Automatikgetriebe für alle Versionen ordern — inklusive TS! Der Beliebtheit des Renault 16 tat das erste große Facelift (eigentlich ein „Backlift“) aber keinen Abbruch, und im Januar 1972 lief bereits das 1.000.000ste Exemplar vom Band.
1972 war für die Régie aus zwei Gründen ein sehr wichtiges Jahr: Zum einen erschien mit dem Renault 5 der Urahn aller schicken und praktischen Stadtwagen (und auch das erste Automobil mit vollintegrierten Kunststoffstoßfängern!), zum anderen erfuhr das Renault-Markenzeichen, die berühmte Raute, eine umfassende Umgestaltung. Die alte Raute von 1960 (mit dem Renault-Schriftzug) wurde durch eine dreidimensional gestaltete Raute ohne Schriftzug ersetzt. Dieses neue Markenzeichen schmückte alle Renault 16 ab Ende 1972. 1973 betrat der Renault 16 TX als neues Spitzenmodell der Baureihe die Bühne. Sein auf 1645 ccm aufgebohrter Motor leistete dank Weber-Doppelvergaser stramme 93 PS. Damit war man auch Mitte der Siebziger gut motorisiert. Das neue Modell sollte nach den Markingstrategen der Régie nicht den TS ersetzen, sondern eine besonders luxuriöse Variante des 16, gedacht vor allem für lange Autobahnfahrten, darstellen.

Das neue Spitzenmodell: Der TX.

Diese Intention wurde anhand der Serien– und Sonderausstattungen besonders deutlich: Äußerlich unterschied sich der TX, der übrigens ab 1974 auch mit Automatik zu haben war, von allen anderen Versionen sofort durch die prominenten Doppelscheinwerfer, einen anders gestalteten Kühlergrill, besondere Alufelgen im Gordini-Stil und den kleinen Heckspoiler.  Im Inneren konnte man den Luxus-16 u. a. mit Fensterhebern, Klimaanlage, Lederpolstern und Colorverglasung ausrüsten, die Fünfgangschaltung und die Verbundglas-Frontscheibe waren bereits serienmäßig. Das Armaturenbrett wurde nahezu ohne Änderungen vom TS übernommen, da es diesbezüglich auch keinen Verbesserungsbedarf gab. 1973 entfiel bei allen Modellen auch der Schriftzug „Renault 16“ auf den hinteren Kotflügeln.

1974 wurde auch der Renault 16 von der allgemeinen Wirtschaftskrise erfasst: Die Verkaufszahlen sackten zum ersten Mal deutlich ab, von 173.521 Einheiten 1973 auf 126.591 im Krisenjahr 1974. Mit vier Varianten (L, TL, TS, TX) hat das Renault 16-Programm nun seinen Höhepunkt erreicht. Im Oktober 1974 schließlich musste der berühmte Aluminiumkühlergrill einem mattschwarzen Grill aus Plastik weichen. Gleichzeitig verlor der L seine Radkappen. Gegenüber dem TL hatte die Einstiegsversion keinen Zigarettenanzünder, keine Kofferraumbeleuchtung, starre Rückenlehnen der Vordersitze und einen Dachhimmel aus Plastik — kurz: eine nackte Basis.
Der Renault 16 erreichte Mitte der Siebziger den Herbst seines Lebens. Die Spitzenposition im Renault-Programm hatte er bereits 1975 an den neuen Renault 30 verloren, der sogar mit einem V6 ausgerüstet war. 1976 erschien als Abkömmling des 30 der Renault 20 als weitere geräumige Mittelklasselimousine. Der neue Renault 30/20 führte das vom Renault 16 bekannte Prinzip der variablen Limousine mit Schrägheck und großer Heckklappe konsequent fort. Im April 1978 trat überdies der Renault 18 an, sowohl den Renault 12 als auch den Renault 16 zu ersetzen.
So beendete der Renault 16 im Januar 1980 ganz leise seine große Karriere. Die Versionen TS und L waren bereits länger verschwunden, der TX schied 1979 aus dem Programm aus, und nur der einfache TL blieb bis Ende Dezember 1979 in Produktion.
In 15 Jahren erreichte dieses wegweisende Automobil eine Produktionszahl von 1.845.959 Exemplaren.

Das Raumkonzept des Renault 16 fand in den letzten vier Dekaden viele Nachahmer; fast alle Automobilhersteller griffen die Ideen seiner Entwickler auf. Dieser Meilenstein der Automobilgeschichte kann als Urahn aller praktischen Familienlimousinen angesehen werden!