Wie Hans-Georg Latzel zu seinem R16 kam
Eigentlich kam nicht ich zum R 16, sondern er kam zu mir. Und zwar ohne dass ich etwas dafür oder dagegen tun konnte, denn Schuld daran war mein Vater.
Selbiger war eingefleischter Renault-Fahrer (und das als pflichtbewusster OPEL(!) – Mitarbeiter). Begonnen hatte er mit einem 4CV, es folgten Dauphine-Gordini und anschließend insgesamt vier Mal der R 16. Zwar sollte es auch mal ein schnittiger Opel GT oder ein fescher R 17 sein, aber parallel zu diesen Gedanken wuchs der Bauch meiner Mutter und man blieb folglich doch lieber beim R 16. Form und Funktion waren für eine Familie hier einfach besser zusammengefasst.
Schon kurz nach meiner Geburt fand ich mich also auf dem Rücksitz in einem umfunktionierten Wäschekorb wieder und machte so die erste Bekanntschaft mit dieser Art des Reisens. Da der eine Teil meiner Großeltern damals noch in Portugal lebte, war dieses Auto natürlich der ideale Langstreckenwagen und wenn mal gerade kein Hotel den Weg säumte, wurde zu dritt drin geschlafen…
Mit zunehmendem Alter folgten erst ein Kindersitz (ein unglaubliches Gestell im Vergleich zu heutigen Kindersitzen) und schließlich die Rückbank selber.
Und dann kam der 8. März 1977.
Mein Vater säuselte mit dem nagelneuen R 16 TL die Hofeinfahrt hoch, und das ganze Haus bewunderte die Neuanschaffung. Schreiendes Rouge 705 und ein sich extrem langsam unter infernalischem Lärm öffnendes elektrisches Schiebedach – das war hipper als jede Prilblume…
Und in dieses Fahrzeug wuchs ich weiter hinein. Irgendwann durfte ich ja auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und regelmäßig das gesamte Panorama der Landschaft vor mir genießen, denn Sonntagstouren in die nähere Umgebung waren damals ja noch in.
Als ich dann den Führerschein endlich in Händen hielt, war unsere Familienkutsche natürlich mein erstes Auto, mit dem selbstredend zur Schule gefahren werden musste. Da der R 16 damals, Ende der 80er / Anfang der 90er, bereits nur noch sporadisch als lebendes Fossil die Straßen säumte, war ich gegen die Golf-1 – Generation meiner Mitschüler ein echter Exot. Mal eben nach dem Sport vier Mädels nach Hause bringen – das war lustig, bis von der Rückbank die Frage gestellt wurde, ob das Auto ein Lada sei… Tja – da waren es nur noch drei…
Die andere Seite des R 16 ist ja bekanntlich der Rost, welcher bereits wenige Jahre nach dem Erwerb mächtig zuschlug. Und das, obwohl auf dem Heck ein in psychedelischen Farben gehaltener Aufkleber etwas von serienmäßiger Hohlraumkonservierung und Unterbodenschutz faselte…
Nicht mal sechs Jahre nach dem Kauf war auf der Beifahrerseite hinten die Schwinge am Innenschweller komplett durch und machte mit ins Mark gehenden Knirschgeräuschen beim Einfedern auf sich aufmerksam. Und von da an war mein Vater und sein TL regelmäßiger Kunde der örtlichen Renault-Werkstatt, welche sich in den folgenden Jahren mehrfach ums Auto schweißte. Dass dabei die Sache eher verschlechtert als verbessert wurde, fiel erst viel, viel später auf… Aber es ging ja momentan nur um den TÜV und nicht um die Ewigkeit. Schließlich sind für Werkstätten und erst recht für die dazugehörigen Vertragshändler Neuwagen viiiiel schöner und wollen auch verkauft werden. Aber mein Vater bzw. die Familienfinanzen blieben stur, und so rollte der TL treu weiter.
Für mich kam 1992 die Zeit, dem 16er untreu zu werden. Meine Liebe gehörte von nun an meinem eigenen, meinem ersten Renault: einem Fuego GTS in Sepiametallic…
Auch mein Vater sah ein, dass der TL als Alltagswagen zwar extrem zuverlässig, aber eben auch in die Jahre gekommen war. Und so kam 1994 ein weiterer Renault in den Kreis unserer Fahrzeuge: ein roter R 21 GTS mit Schrägheck, also so etwas wie die moderne Form des 16er.
Der TL bekam in diesem Zuge eine Motorrevision, wurde abgemeldet und wartete in unserer Garage auf die im Familienkreis beschlossene Wiedergeburt. Was zunächst als Austausch einiger Blechteile und anderer Kleinigkeiten gedacht war, entpuppte sich beim ersten, zaghaften Zerlegen doch als Großbaustelle.
Eine erste Bestandsaufnahme sorgte für komplette Ernüchterung: Kotflügel durch, Motorhaube durch, fast sämtliche Türen unten durch, Schweller durch, Schwingen samt Lager auf beiden Seiten durch, Bodenbleche großflächig durch, Schließbleche hinten durch, Frontmaske an den Übergängen zum Kotflügel durch etc…
Aber: das komplette Heck samt Tank war rostfrei!!! Na, das war doch was!
Es wurden etliche Köpfe zerbrochen, bis feststand: Das kann – mit vereinten Kräften – gehen. Leider war mein Vater zu diesem Zeitpunkt bereits schwer Krank und verstarb rund ein Jahr später. Neben dem persönlichen Rückschlag kam noch der „technische“. Auf meinen Vater als Ratgeber, Helfer und versierten Schrauber zu verzichten war für mich als absoluter Laie in technischen Dingen extrem schwer.
Was nun? Die Frage stand im Raum. Einen Versuch, den Wagen zu veräußern, gab ich aufgrund des mangelnden Käuferinteresses und des jämmerlichen Zustandes des Wagens (halb ausgeweidet und offensichtlich rostübersät) rasch auf. Zumal ich ja auch an dem alten Bock hing…
Ein Jahr später, 1996, trat ich dem per Zufall entdeckten Club bei und begann, die Restauration konkret in die Wege zu leiten. Eine gut eingerichtete Garage hatte ich ja, zusätzlich wurden weitere Werkzeuge, ein Schweißgerät und Literatur angeschafft, um mein Werk zu beginnen.
Ich zerlegte den Wagen komplett, beließ allerdings Motor und Getriebe an ihrem Platz. Sämtliche Teile wurden in Tüten verpackt, beschriftet und im Keller meiner Mutter zwischengelagert. Weitere Teile fanden auch in meinem alten Kinderzimmer Asyl, denn wozu bitteschön gibt es Platz unter der Couch oder auf dem Schrank???
Als auch die Frontmaske und die Seitenschweller abgetrennt waren, nahm ich noch die hinteren Kotflügel ab. Ist einfach bequemer, wenn es an die Schwingen geht…
Nach dem Ausbau der Vorderachsen sanierte ich zunächst den gesamten vorderen Bereich der Karosserie. Ich öffnete dazu sämtliche Hohlräume und erkundete ihr Innenleben. Renault hatte nicht gelogen: in jedem Hohlraum fand ich eine kleine schwarze Sprühwolke Konservierungsmittel und zusätzlich einen Hauch Wachs. Allerdings nur im oberen Drittel, wo sich laut Newton und der Gravitation kein Wasser befindet. Das sammelte sich bevorzugt in den unteren Falzen und am Boden der Hohlräume und… na, der Rest dürfte fast jedem von Euch bekannt sein. Selbst die Verstärkungsbleche in den vorderen Längsträgern (da, wo die unteren Teile der Achsschenkel dranhängen) waren weg, also schweißte ich dort kurzerhand Eisenrohre zur Verstärkung hinein.
Oftmals waren am Wagenboden lieblos hingebratene Blechbriefmarken, unter denen der rostige Gammel erst so richtig zuschlagen konnte. Bis zu drei Blechschichten waren stellenweise übereinander getackert worden.
Zudem hatten die anscheinend rotweinbeseelten Mannen von Renault die grandiose Idee, Bauschaum in die A- und B-Säulen zu jagen. Ob gegen auftretende Windgeräusche oder um die dort vorhandene Feuchtigkeit zu vertreiben – ich weiß es nicht. Jedenfalls erleichterte mir diese Idee den Ausbau der Kotflügel gewaltig. Denn durch die Blasen im Schaum hielt sich die Feuchte entgegen der wohlgemeinten Absicht über Jahre am kaum versiegelten Blech und ich konnte die Kotflügel mitsamt den vorderen Bereichen der A-Säulen demontieren – ohne auch nur eine Schraube zu lösen!
Da ich möglichst sauber und ordentlich arbeiten wollte, ging ich nur an den TL, wenn ich ausreichend Lust und Zeit hatte. Das führte dazu, dass das Sanieren der Karosserie von der Frontmaske bis zu den B-Säulen fast fünf Jahre dauerte. Schließlich gibt es nebenher ja auch noch ein Leben, Freunde, Jobs, Kino, Kneipen und Frauen…
Zudem war ich ja absoluter Laie. Blecharbeiten und das Schweißen musste ich mir selbst beibringen, und da lässt man sich doch lieber etwas mehr Zeit und fertigt erst einmal etliche Pappschablonen an.
Somit fand ich allmählich auch den Weg zu den hinteren Schwingen. Hier war die Arbeit besonders kniffelig. Denn durch die über die Jahre hinweg durchgeführten Behelfsreparaturen mit ihren angepunkteten Blechstücken war es kaum noch möglich, dort etwas vom ursprünglichen Blechbestand zu finden. Selbst die großen Lager der Hinterachse, welche bereits vom Rost nahezu zerfressen waren, hatte wer auch immer gleich vorsorglich am Innenschweller festgeschweißt…
Somit half nur rohe Gewalt, eine mutige Flex und ein beherzter Schnitt. Ich trennte den Innenschweller mitsamt Lager auf 50 cm Länge komplett heraus und baute alles Stück für Stück dank Ersatzteilen vom Club und selbst gefertigter Blechstücke wieder auf. Gleichzeitig wurde der Hohlraum unter der Rücksitzbank saniert. Glücklicherweise hatte ich auch hier Ersatzbleche, welche allerdings miserabel passten.
Wie es weitergeht? Nun, bis zum nächsten Frühjahr will ich endgültig mit dem Schweißen fertig sein, denn dann soll der Lackierer seine Arbeit verrichten. Anschließend wird mein TL wieder zusammengebaut (vielleicht sollte ich dieses Event als „Schrauben bei ’ner Kiste Bier“- Symposium an mehreren Wochenenden veranstalten, in der Hoffnung, auf Eure erfahrene Mithilfe zu vertrauen…?).
Damit dürfte das Frühjahr 2008 als Zulassungszeitraum in greifbare Nähe rücken…
Ich kam also zweimal zum R 16. Einmal durch meinen Vater und das zweite Mal durch meiner Hände Arbeit.
So hat jeder seinen 16er. Der eine hat den ältesten, der andere den jüngsten, wiederum jemand besitzt den schönsten oder den seltensten und noch einer besitzt den mit der ultimativen Vollausstattung oder der geringsten Kilometer-Laufleistung auf dem Tacho. Meiner war wahrscheinlich der schlechteste, und wäre er nicht als knackiger Newcomer in unsere Familie gestoßen, der Hitze, Kälte, Staub und Salz klaglos ertragen hat, obwohl er anscheinend endlose Qualen litt, so wäre die rationale Antwort auf die Frage einer Restaurierung seinerzeit wohl „Schrottpresse“ gewesen. Irrational und unwirtschaftlich. Ein biederer TL aus Sandouville auf schmalen Rädern, dessen einziger Reichtum in einem elektrischen Schiebdach bestand.
Aber das Gefühl, mit eben diesem Wagen mal wieder kurvige Landstraßen zu bereichern und dabei zu wissen, dass man so ein Projekt geschafft hat, macht alle Fragen nach der Wirtschaftlichkeit und Rationalität hinfällig. Aber das wisst Ihr wahrscheinlich besser als ich…
Viele Grüße aus der Garage am Rande der Stadt!
Hans-Georg Latzel, Dezember 2006