Wie ich zu meinem R16 kam.
Schon in meiner Kinder- und Jungendzeit war ich ein großer Anhänger von französischen Filmen, seien es alte Krimis mit Jean Gabin, Actionfilme mit Jean-Paul Belmondo oder die großen französischen Klamauk-Klassiker der Sechziger und Siebziger mit Pierre Richard oder Luis de Funès. Besonders letztere Filme waren für Autofans wie mich natürlich immer auch eine Fundgrube für die skurrilsten Entwicklungen französischer Automobilkonstrukteure. Zwei Autos hatten es mir damals schon besonders angetan: Der Ami 6 und der Renault 16. Ich hatte halt schon immer eine Vorliebe für Ausgefallenes. Aber einen Oldie kaufen? Ich war eigentlich nie der typische „Frickler“. Platz für Werkzeuge und Ersatzteile hatte ich als Schüler respektive Student sowieso nicht.
Somit war für mich damals klar: Wenn ich denn einen Oldtimer mein Eigen nennen sollte, dann muss dieser (neben dem Skurrilitätsriterium) in einem guten Zustand und absolut zuverlässig sein. Und dann einen Franzosen??? Eben… So begnügte ich mich jahrelang mit dem Anschauen von Oldtimern, einen Renault 16 in seiner Urform habe ich jedoch nie zu Gesicht bekommen, außer in den oben genannten Filmen. Aber wenn Renault 16, dann nur als Urtyp! Die Heckansicht mit den wunderschönen mandelförmigen Rückleuchten und dem Renault- Schriftzug auf der Chromleiste ist einfach betörend schön und bietet vor allem absolutes Sixties- Flair!
Im April 2001, das Ende meines Studiums konnte ich zumindest grob bestimmen, besuchte ich auf der Techno-Classica den Stand des Club 16, aber immer noch bar jeder Kaufabsicht. Ich bekam jedoch angesichts der Fahrzeuge von Corjan Meijer und Holger Schmidt sofort leuchtende Augen! Wie gesagt, ich hatte ja noch nie einen Urtyp in natura gesehen. Rein interessehalber fragte ich mal nach den Preisen für ein solches Exemplar. Sie wollen kaufen? Nein, wollte ich eigentlich nicht, ich bin ja kein Glücksritter! „Unser Clubmitglied Holger Schmidt möchte einen Urtyp verkaufen.“
So lernte ich also Holger kennen, und er erzählte mir sogleich wortreich von seinem ausgestellten Exemplar, wie toll er fährt, wie selten und extrem zuverlässig er sei (in Gedanken machte ich schon Häkchen bei meinen o. g. Kriterien). Und der Wagen, den er verkaufen möchte, wäre in einem besseren Zustand als sein ausgestelltes Auto! Als auch noch der Preis in mein schnell zurechtgezimmertes Budget passte und ich beim Probesitzen in Holgers Wagen den Esprit des Renault 16 atmen konnte, war die Kaufresistenz gebrochen. Er gab mir seine Telefonnummer. In dem folgenden Telefonat erfuhr ich von ihm, dass er den anderen Renault 16, ein Frankreich-Exemplar, verkaufen will, weil er als Teileträger zu schade sei. Teileträger? Ich dachte, er wäre in einem besseren Zustand als sein „Erst-Oldtimer“? Alarm! Ja, das sei er auch, aber er hätte halt in seinem Renault 16 geheiratet, daher wäre ein Verkauf des ausgestellten Wagens ausgeschlossen. Das klang einleuchtend.
Witzigerweise schien sich Holger dann doch nicht so recht von dem mir angebotenen Auto trennen zu können, denn er schilderte mir sodann mit warnendem Unterton die prekäre Ersatzteillage für den Urtyp. Sofort gingen bei mir als Laien ohne große Ersatzteillager-Kapazitäten wieder die Alarmsirenen an, und meine Kaufabsicht verflüchtigte sich etwas. Halb so wild, schilderte mir der gewandelte Holger in einem folgenden Gespräch, alles wäre aufzutreiben, vor allem die Holländer könnten alles liefern. Wim Boer, den ich kurze Zeit später anrief, verifizierte nicht nur Holgers Ausführungen, sondern erzählte mir auch, dass er persönlich dieses Exemplar aus Frankreich importiert und für außergewöhnlich gut befunden hatte.
In dem guten Gewissen, dass dann ja nichts mehr schief gehen kann, machte ich mich später mit Kurzzeitkennzeichen, einer neuen Batterie und Scheibenwischern bewaffnet auf den Weg nach Siegen. Der erste Anblick des Objekts meiner Begierde war jedoch zunächst ernüchternd, da mir Holger ja erzählt hatte, dass sich dieses Fahrzeug in einem besseren Zustand als sein erster Renault 16 befinden sollte, der restauriert und hochglanzpoliert auf der Techno-Classica stand. Ich hatte als Novize wohl nicht bedacht, dass sich das Kaufobjekt im absoluten (französischen) Originalzustand befindet, soll heißen mit verwittertem Lack, etlichen Beulen, ausgeblichener Rückbank, Rostschutzfarbe im Motorraum und demontierten Chromteilen.
Der zweite Blick zeigte dann aber, dass Holger doch recht hatte: Der Wagen ist tatsächlich nahezu rostfrei (und das im Originalzustand!), alle Anbauteile sind vorhanden, er stellt ein besonders frühes Exemplar von Juli 1965 dar, und er stammt aus Familienbesitz, wobei der Erstbesitzer den Wagen jahrzehntelang gefahren hat, bevor er ihn „vererbte“. Wenn ein Auto so lange von einem Besitzer gefahren wird, muss es einfach gut sein! Was ich da letztendlich für eine Preziose gekauft hatte, war zu dem Zeitpunkt weder mir noch Holger klar…
Die Heimfahrt von Siegen nach Köln entbehrte dann nicht einiger abenteuerlicher Elemente. Zunächst erwiesen sich sowohl die Batterie (passte nicht) als auch die Scheibenwischer (dito) als unbrauchbar, was mir insbesondere aufgrund der schwarzen Wolken über dem Siegerland Unwohlsein bereitete. Außerdem stand das Fahrzeug vorher längere Zeit in einer Halle. Ich wurde von einem guten Freund begleitet, der aufgrund seiner Erfahrung mit französischen Vehikeln glücklicherweise deutlich gelassener war als ich. Wir starteten erstmal mit fremder Hilfe. Einige Kilometer nach der Abfahrt ging der Kühlerventilator an und produzierte dabei Geräusche, als wenn man bei voller Fahrt versuchen würde, den Rückwärtsgang einzulegen. Erschrocken steuerte ich den Wagen an die Seite. Plötzlich verstummte das nervzerreißende Geräusch, und der Ventilator summte zufrieden vor sich hin. Muss wohl an der langen Standzeit gelegen haben, versuchte ich mich zu beruhigen.
Es dämmerte mittlerweile. Wie macht man bloß die Scheinwerfer an? Nachdem ich an allen möglichen Hebeln gerudert hatte, wies mich mein Freund darauf hin, dass man bei französischen Autos im allgemeinen den linken Hebel drehen muß. Aha! Mir wurde dann klar, warum in alten französischen Filmen so häufig Autos des Nachts von der Fahrbahn abkamen: In Anbetracht der gelben Frankreich-Funzeln hätte man die Straße auch mit einer Taschenlampe ausleuchten können. Ich musste also sehr langsam fahren. Die Wolken wurden immer dichter, derweil mich die Wischerarme durch die Windschutzscheibe ratlos anschauten: Nous sommes hors service! Dennoch: Petrus erwies sich als R 16-Fan, und wir kamen trocken in Köln an.
Zwei Tage später brachte ich meine Neuerwerbung stolz zur Renault-Niederlassung Köln, die den Wagen gründlich durchchecken, durch den Tüv bringen und möglichst noch das H-Kennzeichen ausstellen sollte. Zum Glück kannte sich der „alte Meister“ Herr Stein mit dem Urtyp aus, wie ich in Erfahrung gebracht hatte. Er hat auf diesem Wagen gelernt und war dementsprechend begeistert. Aufgrund einiger Ersatzteilschwierigkeiten und der hohen Auslastung der Werkstatt dauerte der Aufenthalt fast drei Wochen, aber ich hatte ja Zeit. Der Wagen ging tatsächlich ohne erkennbare Mängel und mit HAuszeichnung durch den Tüv! Klar, es mußten einige Teile erneuert werden, und es war nicht gerade billig. Da ich mich aber zu der Zeit in den Vorbereitungen für eine wichtige Examensklausur befand und das Kurzzeitkennzeichen nur ein paar Tage gültig ist, wollte ich den Wagen einfach so schnell wie möglich durch den Tüv bringen.
Der folgende Eintritt in den Club 16 war natürlich ein Muss. In den nächsten Monaten brachte ich dann in Erfahrung, welch seltenes Auto ich da eigentlich besitze. Mit Erstzulassung Juli 1965 gehört er zu den ältesten existierenden Renault 16 überhaupt (bisher habe ich nur Corjans R 16 als ein noch älteres Exemplar besichtigen können), und die Vordersitzbank anstelle von Einzelsitzen scheint nahezu einmalig zu sein, wie mir auch unser Szene-Kenner Wim Boer erzählte. Angesichts dieser Fakten habe ich übrigens von Holger Schmidt schon des öfteren ein tiefes Seufzen vernommen…
Sowieso, mit der schönste Nebeneffekt an meinem Oldie ist, dass ich so viele nette, hilfsbereite und interessante Leute kennen gelernt habe, denen man sonst niemals über den Weg gelaufen wäre. Und Clubzeitungsredakteur wäre ich wohl auch nie geworden.
Meinen alten Franzosen habe ich im Laufe der letzten Jahre einer klassischen „rolling restauration“ unterzogen, wobei ich als Novize feststellen musste, dass das Gütesiegel „Originalzustand“ mitunter seine Tücken hat. Nachdem diverse originale Riemen und Kugelbolzen am Ende waren, zerlegten sich drei Monate nach dem Kauf die originalen Antriebswellen (ja, noch die mit den offenen Kreuzgelenken!). Die – nach dem optischen Zustand – originalen Reifen waren rissig wie alte Ledersitze. Und die Trommelbremsen zeigten sich original zerbröselt, was der kompetente Renault- Meister Guido Dietsch aus Willich aber erst ein Jahr später bei einer großen Revision der Bremsen festgestellt hat. Also besser gleich die ganze Bremsanlage erneuert!
Zwischenzeitlich habe ich meinem R 16 dann noch eine Teillackierung spendiert und eine neue Rücksitzbank von unserem holländischen Clubkollegen Alfred van der Gaast ergattert, so dass der Wagen seit zwei Jahren optisch wie technisch wieder proper dasteht. Im Moment bereitet mir nur Kopfschmerzen, dass der (originale) blaue Bezug der Vordersitzbank einzureißen droht. Ich vermute, dass hier die Suche nach einem Ersatzexemplar aussichtslos ist. Trotzdem, mal unsere Holländer fragen…
Angesichts der Tatsache, dass mein Renault 16 dazu auserkoren wurde, auf der diesjährigen Techno Classica ausgestellt zu werden, habe ich meinen Geldbeutel noch mal weit geöffnet. Der Wagen wird von Guido Dietsch nun in einen Zustand gebracht, der dieser Veranstaltung (und dieses Anlasses!) würdig ist. Aber so perfekt wie der formidable R 16 unseres Schweizer Mitglieds Markus Mosch kann und soll mein altes Schätzchen nicht werden. Dafür ist die Grundsubstanz einfach zu gut, und es wäre schade, alle Spuren seiner aufregenden Lebensgeschichte zu eliminieren. Abgesehen davon fehlen mir als angehenden Lehrer zu einer Concours-Restauration die nötigen Fränkli…
Ach ja, letztes Jahr habe ich auf einem Oldie- Treffen in Essen einen Citroën Ami 6 in perfektem Zustand gesehen. Ein geniales Auto! Superskurril! Einfach cool! Ich konnte aber doch widerstehen.
Jürgen Elsner , 2005