Unterwegs bei der ADAC Trentino Classic 2006

Weitere Informationen:
www.adac.de/oldtimer

Mit genussvollem Schwung biegt Louis in Richtung Madonna di Campiglio ab. Es geht steil bergauf. Nur noch elf Kilometer. Da holt ein fast 70 Jahre alter Wanderer auf. Er ist von Haus aus kräftiger, überholt und lässt freundlich grüßend Louis hinter sich. Stark schnaubend erklimmen beide die enge Schlucht von Limarò. Und erreichen endlich ihr Ziel: Terme di Comano. Dort sind bereits 35 Teilnehmer eingetroffen und registrieren sich für die Abenteuer der kommenden Tage. Der Wanderer stellt sich vor: er ist ein W52 und kommt aus einem der besten und renommiertesten Altenpflegeheime für gut erhaltene Artgenossen – dem ZeitHaus der Autostadt in Wolfsburg. Louis, seines Zeichens Renault 16TL, ist 31 Jahre alt und Wahl-Berliner.

Was sich zunächst nach einem Bergsteigertreff anhört, ist die ADAC Trentino Classic, eine Oldtimer-Wanderung, an der jährlich 100 blecherne Klassiker und deren meist zweiköpfige Besatzung teilnehmen. An vier Tagen erfahren sie mit ihren Schmuckstücken zwischen Gardasee und Brenta-Dolomiten die reiche Landschaft des Trentinos. Sie wollen vom Alltag entschleunigen, herzhafte Köstlichkeiten genießen, Natur und Kultur durchwandern. Terme di Comano ist in diesem Jahr der Ausgangspunkt für die Tagestouren und liegt zwischen den Hochebenen Bleggio, Banale und Lomaso – im Valle Giudicarie. Die dort entspringenden 27° C warmen Quellen sind für ihre Heilkraft bei Hautkrankheiten bekannt.

Aber nicht zur Lack- oder Hautpflege sind die Oldies hier, die zwischen 30 und 96 Jahren auf dem Buckel haben. Auch die Geschwindigkeit spielt keine Rolle – es geht allein um den Genuss der Ursprünglichkeit, die sich diese Region bewahrt hat. Der Weg der ADAC Trentino Classic ist gleichzeitig das Ziel.

Am ersten Wandertag startet Louis um 9.39 Uhr, gemeinsam mit einigen anderen Spätzündern. Gemächlich rollen die Karossen den langgezogenen Berg hinab. Unten angekommen führt die Wanderung durch die Ebene des Oberen Etschtales. Reich mit dunkelroten Trauben behangene Rebstöcke säumen den Weg. Der gelbe Straßenwacht-Käfer krabbelt behutsam vor Louis über die Straße, noch hat der Engel keine Panne beheben müssen. Die beiden erreichen die erste Wanderpause, im Rallyejargon: WP (eigentlich: Wertungsprüfung), bei der Kellerei Pisoni in Pergolese. Der Familienbetrieb stellt Wein, Grappa und den nur hier gekelterten Vino Santo, bereitet aus der Nosiola-Rebe, her. Auf dem Hof angekommen, erwarten Louis und seine Weggefährten, wie an jeder WP, zwei Fragen zu den dargebotenen Produkten und einem alten Traktor. Statt zeitlicher Messung und Reifenwechsel muss hier genüsslich bei Cafè und Brioche nachgedacht werden. Die erhaltenen Punkte fließen am Ende der Veranstaltung in die Gesamtwertung ein.

Weiter geht’s durch Apfelplantagen zum urigen Ristorante La Casina, einem ehemaligen Bauernhof aus dem 16. Jahrhundert nahe der mittelalterlichen Burg Drena. Louis macht, wie auch seine kleinen Schwestern, die Dauphine (Bj. 1950) und die Voiturette (Bj. 1910) neben ihm, eine kurze Rast; Besichtigung des Hauses und Beantwortung des Fragebogens. Wieder zurück auf der kleinen Landstraße rollen die Fahrzeuge durch die Obstgärten weiter nach Riva del Garda. Die frische Brise lässt bereits den Gardasee erahnen. Zu einer ausgiebigen Mittagpause sammeln sich die Wandersleute auf dem alten Hafenparkplatz. Dort werden sie von den hoch erfreuten Italienern und Touristen gleichermaßen überschwänglich begrüßt und schließlich genauso verabschiedet. Auf der Rückreise nach Comano muss Louis einen letzten Stempel im Franziskaner-Kloster Campo Lomaso abholen. Dort hängen in einem Kreuzgang um den Innenhof historische Fotografien, die von der bewegten Geschichte der Region zeugen, und deren Anzahl es als Rallye-Aufgabe zu schätzen gilt. Zieleinlauf in Terme di Comano in goldener Abendsonne. Louis trifft kurz vor dem Wanderer ein, hat die erste Tour gemeistert.

An den nächsten Tagen erwarten ihn noch mehr Höhepunkte wie das 1550m hoch gelegene Madonna di Campiglio, der märchenhafte Wallfahrtsort San Remedio (dort wohnt der Onkel des kürzlich erlegten Bären Bruno) im Valle di Non und die ehemalige Berg-Rennstrecke am Monte Bondone mit abschließendem Concorso d’Eleganza in Trento. Mal sehen, wer besser liegt und punktet am Ende der bunten Reise. Denn erst bei der Preisverleihung stellt sich heraus, wer gründlich genug nachgedacht, die Gegend aufmerksam betrachtet und damit die höchste Punktzahl erreicht hat.

Aber ob Punkte oder nicht – Natur zu erleben, Schlemmereien zu kosten und freundlichen Menschen zu begegnen sind die Mittelpunkte einer Reise durchs spätsommerliche Trentino.
Letztendlich gewinnt Louis einen Pokal für die zweitbeste Schätzung eines Gewichtes und einer Außentemperatur. So kann’s gehen. Ohne Raserei und mit Genuss.

Renate Freiling